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4.1. Erkenntnistheoretische Grundlagen

Über das Forschungsobjekt und die Methoden der Volkswirtschaftslehre wird heute nicht mehr diskutiert, bzw. es wird seit 200 Jahren darüber diskutiert, allerdings relativ heuristisch und apodiktisch, wie z.B. mit so kühnen Aussagen wie die von der Uni München, die schlicht feststellt, dass die Sprache der Volkwirtschaft die Mathematik sei. Mit dem, was wir bislang gesehen haben, können wir schon feststellen, dass die Uni München zumindest Mut beweist.

Die VWL als Wissenschaft versucht, den Wirtschaftsablauf und seine Gesetzmäßigkeiten zu verstehen. Dafür entwickelt sie Modelle des Wirtschaftsablaufs, die das Verhalten von Haushalten und Firmen in Märkten beschreiben und die Entwicklung von Preisen, Löhnen, Produktion und Handel erklären. Mit Hilfe dieser Modelle kann man die unterschiedlichsten Fragestellungen, die über die gesamte Bandbreite gesellschaftlichen Miteinanders gehen, dann fundiert angehen. Die Methodik, also das Arbeiten mit bzw. in Modellen, kann man entsprechend auch als wichtigstes Unterscheidungsmerkmal zu Nachbarwissenschaften, insbesondere zur Betriebswirtschaftslehre (BWL) bezeichnen. Während die BWL ihre Fragen meist fallstudienbezogen angeht, ist die VWL immer an der grundsätzlichen Analyse einer Frage interessiert bzw. an der Lösung von Fragen in allgemeingültigen Modellen. Die Arbeitssprache für das Arbeiten mit diesen Modellen ist die Mathematik.

http://www.uni-muenchen.de

Wir wissen ja jetzt nicht, welcher Hiwi das geschrieben hat, aber wir wissen, dass er / sie sich die Originalliteratur nicht durchgelesen hat. Bei der Uni München auf jeden Fall scheint die komplexe Diskussion nicht angekommen zu sein und man sollte sich schwer überlegen, ob man dort studieren will, denn das tönt eher so, wie wenn sie ad calendas graecas den üblichen Mist abspulen.

So richtig sieht auch niemand ein, wieso die BWL ihre Fragen "fallstudienbezogen" angeht.

Und die VWL ist an der LÖSUNG von Fragen an ALLGEMEINGÜLTIGEN Modellen interessiert. Das heißt sie diskutiert das Thema Arbeitslosigkeit in Rumänien, Burkina Faso und der Bundesepublik anhand allgemeingültiger Modelle und trägt dann auch wesentlich bei zur LÖSUNG des Problems. Alter Schwede! Na eine Lösung die für Burkina Faso gilt muss auch für die BRD gelten und umgekehrt.

Die Volkswirtschaftslehre stellt dann zum Beispiel fest, dass der Lohn dem Grenzertrag der Arbeit entsprechen muss und das gilt dann in Namibia wie in Schweden. Das mag sogar sein. In Schweden sind das dann 4000 Euro im Monat und in Somalia 20 Euro, wobei es in Somalia mal 15 Euro waren, aber da man mindestens 20 Euro braucht um zu überleben, sind die Restlichen weggestorben, so dass jetzt auch in Somalia Vollbeschäftigung herrscht. Jeder, der zum gegebenen Lohn arbeiten wollte, hat in Somalia eine Arbeit gefunden und die anderen sind gestorben. Bei den "Gesetzen" der Volkswirtschaftslehre handelt es sich ganz überwiegend um nichtssagende Tautologien.

Dass sich die Volkswirtschaft ausschließlich mit Märkten beschäftigt mag sogar sein, aber genau das ist das Problem. 49 Prozent des BIP der BRD wird nicht in Märkten erwirtschaftet, sondern vom Staat nach planwirtschaftlichen Vorgaben. Dieser Bereich bietet weit mehr Potential zur Optimierung als die Märkte. Märkte, im neoklassischen Sinn, muss man niemandem erklären, wie die funktionieren kapiert schlicht jeder.

Schleierhaft ist auch, was eine "Nachbarwissenschaft" sein soll. Es geht nicht um die Frage, wer benachbart ist. Es geht um die Frage, welche Kombinationen aus VWL und einem anderen Fach im Hinblick auf ein Ziel sinnvoll ist. Hat jemand an China einen Narren gefressen, ist die Kombination aus Sinologie und VWL sinnvoll. Er kann sich dann auf die Wirtschaft Chinas spezialisieren. Beschäftigt sich jemand mit der Frage, was eine "Unternehmerpersönlichkeit" ausmacht, kann er sich mit Psychologie beschäftigen. Will jemand die Einstellung zur marktwirtschaftlichen Ordnung in verschiedenen Ländern vergleichen, wäre es sinnvoll, er nimmt Soziologie als Nebenfach. Denkt jemand pragamatisch und berufsorientiert, dann nimmt er vielleicht besser Informatik und nicht Betriebswirtschaftslehre.

Wie dem aber auch immer sei, um die Uni München macht er besser einen großen Bogen. Das Problem ist nicht die Sprache, das Problem ist, dass manche Leute unreflektiert einen vollkommenen Stuss reden. Eine Fakultät, die nicht mal auf ihrer Website einen einzigen sinntragenden Satz zustande bringt, wird wohl methodisch und inhaltlich Probleme haben.

Bevor man apodiktisch behauptet, dass die Sprache der Volkswirtschaftslehre die Mathematik sei, sollte man schon eine gewisse Vorstellung davon haben, ob das Erkenntnisobjekt mit dieser Methode analysiert werden kann. Wer darüber nicht reflektiert und irgendwas behauptet, ist ein Trottel und an einer Trotteluni sollte man nicht studieren.

Wie fast alle Autoren, die wir bislang gesehen haben, macht sich auch Schumpeter Gedanken über das Forschungsobjekt und die Methoden.

Wenn wir uns nun nach den allgemeinen Formen der wirtschaftlichen Dinge, nach ihren Regelmäßigkeiten oder nach einem Schlüssel zu ihrem Verständnisse fragen, so sagen wir damit ipso facto, dass wir sie in diesem Augenblicke als das zu Erforschende, das Gesuchte, das "Unbekannte" betrachten und sie auf relativ "Bekanntes" zurückführen wollen, so wie das eine jede Wissenschaft mit ihrem Untersuchungsgegenstand tut. Gelingt es uns, einen bestimmten Kausalzusammenhang zwischen zwei Erscheinungen zu finden, so ist unsere Aufgabe dann gelöst, wenn jene Erscheinung, die in diesem Kausalzusammenhang die Rolle des "Grundes" spielt, keine wirtschaftliche ist. Dann haben wir getan, was wir in dem betreffenden Falle als Nationalökonomen tun können und müssen das Wort anderen Disziplinen überlassen. Ist aber jener "Grund" selbst wieder wirtschaftlicher Natur, so müssen wir unsere Erklärungsversuche fortsetzen, bis wir auf einen nichtwirtschaftlichen stoßen. Das gilt für die allgemeine Theorie wie für einen konkreten Fall. Wenn ich z.B. sagen könnte, dass das Phänomen der Grundrente auf der Verschiedenheit der Bodenqualität beruhte, so wäre damit der wirtschaftlichen Erklärung genügt.

aus: Joseph Schumpeter, Theorie der wirtschaftlichen Entwicklung, Erstes Kapitel

Den Begriff "wirtschaftliche Dinge" selbst definiert er nicht, aber so ungefähr können wir uns denken was er meint. Er untersucht also Kausalketten solange, bis er auf eine stößt, die eben nicht wirtschaftlich ist.

Eine rein wirtschaftliche Kausalkette wäre zum Beispiel => EZB hebt das Zinsniveau => das führt zu einem Kapitalimport => der Kapitalimport zu einer Aufwertung des Euro => der starke Euro verringert den Leistungsbilanzüberschuss.

Abbrechen würde die Kausalkette bei sowas: Die Kakao Ernte entsprach nicht den Erwartungen => der Kakao Preis steigt => die Nikoläuser sind teurer als letztes Jahr => der Konsum geht trotzdem nicht zurück, weil sich sonst die lieben Kleinen bitter beklagen würden.

Der letzte Grund, nämlich dass sich die Kleinen beklagen und Papa und Mama auf's Kino verzichten um die Nikoläuser zu kaufen, ist dann nicht ökonomischer Natur.

Das Problem ist, dass die Diskussion bei diesem Forschungsprogramm meistens dann abbricht, wenn es interessant wird.

Irgendwie hat zum Beispiel jeder intuitiv das Gefühl, dass das Wachstum der Wirtschaft vom Bildungsgrad, von Forschung und Entwicklung sowie der Umsetzung derselben in innovative Produkte, von der Fähigkeit der Kapitalsammelstellen Kapital dahin zu lenken, wo die Knappheitssignale am höchsten sind, von der Fähigkeit der Wirtschaftssubjekte sinnvoll (auch international) zu kooperieren etc.etc. abhängt.

All das sind aber keine genuin "ökonomischen" Größen. Gehen wir bei solchen Größen noch ein "Stockwerk weiter nach unten", wird es noch komplizierter.

Bei Bildung zum Beispiel hätten wir dann so Fragen wie 'wer interessiert sich weshalb für was', 'welche Bildungsinhalte sollen in welchem Umfang von wem vermittelt werden', 'dominiert langfristig informelles Lernen oder Lernen in einem institutionalisierten Umfeld' etc..

Die Frage ist auch für Schumpeter selbst relevant. Denn spätestens bei der Beschreibung des "Führers", also des schöpferisch zerstörerischen Unternehmers, hält er sich überhaupt nicht an sein Programm. Er macht einen ausgiebigen Ausflug in die "Psychologie". (Zumindest versucht er, siehe dynamische Wirtschaft, den schöperisch zerstörenden Unternehmer zu beschreiben.)

Würde man die Leute fragen, ob sie der Meinung sind, dass die Welt anders aussähe, wenn JEDER auf der Welt in derselben Zeit, in der jetzt ein Studiengang abgeschlossen wird durch verbesserte Rahmenbedingungen vier abgeschlossen werden können, zum Beispiel ein Studium der Elektrotechnik / Medizin / Anglistik / Ökonomie, dann würde viele Leute intuitiv vermuten, dass dies einen wesentlich mächtigeren Einfluss auf die wirtschaftliche Entwicklung hätte als die Geldpolitik der EZB.

Und inwiefern sollen bei der staatlich finanzierten Forschung ökonomische Aspekte berücksichtigt werden und wenn sie berücksichtigt werden, in welchem Zeitraum sollen sie eine ökonomische Wirkung entfalten?

Das Problem ist nicht nur, dass sich in der Praxis wirtschaftliche Verhältnisse schlecht von anderen Gegebenheiten trennen lassen. Umgekehrt ist es auch so, dass sich alle relevanten gesellschaftlichen Aspekte schlecht von ökonomischen Zusammenhängen trennen lassen.

Bis jetzt wissen wir eigentlich nur, dass die Theorien der Ökonomie für die Lösung konkreter Probleme in etwa so relevant sind, wie das, was einem der nächst beste halbwegs informierte Zeitgenosse auf der Straße erzählt.

Vilfredo Pareto erklärt die reine, zweckfreie Wissenschaft zum Programm, siehe Soziologie.

Reine Wissenschaft ist dann auch das seit 120 Jahren bis zum Erbrechen vorgetragene Pareto Optimum Geschwurbel und das gesamte Wohlfahrtsgedöns.

Das Problem ist, dass das Reinheitsgebot der Wisssenschaft in keiner Wissenschaft existiert und auch keine Existenzberechtigung hat.

Würde man dem folgen, dann gäbe es bald keine Wirtschaft mehr, die das Reinheitsgebot finanziell substantiieren kann. Es gibt eine Grundlagenforschung, die irgendwann und fließend in anwendungsorientierte Forschung übergeht.

Ökonomen verstehen unter reiner Wissenschaft Aussagen, die so trivial sind, dass sie ewig gelten. Das nenne sie dann ökonomische Gesetze. Umgangssprachlich heißt so was Schwachsinn.

Wer 120 Jahre lang denselben irrelevanten Mist predigt, der treibt auch nicht allzuviel Wissenschaft, der wiederkäut lediglich.

Es stimmt zwar nicht, wie Schumpeter behauptet, dass sich Wissenschaften ursprünglich mit konkreten, praktischen Problemen beschäftigen, dort ihren Ausgang nehmen und sich erst später systematischer mit ihrem Forschungsobjekt beschäftigen, aber das genaue Gegenteil stimmt auch nicht.

Newton, Keppler, Galilei, Darwin, Kant, teilweise Goethe etc. betrieben "zweckfreie" Wissenschaft. Daneben gibt es alle möglichen Zwischenformen. Bei Alexander Fleming, dem Entdecker des Penicilin, Friedrich von Heyden, der erstmalig Acetylsalicylsäure industriell herstellen konnte, liegt die Grundlagenforschung sehr dicht bei der anwendungsorientierten Forschung. Vermutlich wird es für jede relevante Erkenntnis irgendwann mal eine Anwendung geben. Verquast formulierte Binsen wie das Pareto Optimum werden aber nie eine Anwendung haben.

Um es mal abzukürzen: Sinnvoll ist alles, was ein konkrete Problem konkret löst. Das sieht Vilfredo Pareto zwar anders, siehe Vilfredo Pareto, aber das sieht er eben falsch. Reine Wissenschaft kann jeder als Hobby betreiben, solange er sein Hobby selber finanziert. In dem Moment aber, in dem Steuergelder fließen, muss das zu konkreten, marktfähigen Produkten führen, weil andernfalls das Geld für "reine" Wissenschaft nicht mehr da ist. Es war Pareto unbenommen, mit seinem geerbten Vermögen sinnfreie Wissenschaft zu betreiben. Anders sieht das aus, wenn jemand mit öffentlichen Mitteln finanziert wird.

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Infos und Anmerkungen:

ES        DE

Das Buch zur Webseite.

Das Erkenntisobjekt der Volkswirtschaftslehre

Schumpeter: Kausalketten solange zurückverfolgen, bis die Ursache ein nicht ökonomisches Phänomen ist.


Marshall: Gegenstand der Ökonomie sind menschliche Handlungen, die sich monetär messen lassen.

Pareto und Walras: Was das Erkenntnisobjekt der Wirtschaftswissenschaften ist, klären sie zwar nicht, aber methodisch sind die Naturwissenschaften, vor allem die Physik das Paradigma.

Die Diskussion wie die Wirtschaftswissenschaft systematisch einzuordnen ist, was ihr Erkenntnisobjekt ist und ob es sich um eine nomothetische oder idiographische Wissenschaft handelt, wird nur in der VWL geführt.

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